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Minna & Johann

Die Pfarrerstochter Minna aus St. Gallen und der verwitwete Pfarrer aus Landschacht (Kanton Thurgau) haben sich durch Vermittlung kennengelernt. Johann hat eine kleine Tochter und sucht dringend eine Frau. Schon nach den ersten Begegnungen macht Johann Minna einen Heiratsantrag, den sie in ihrem ersten Brief vom 14.2.1869 annimmt. Von da an betrachten sich die beiden als Brautleute und schicken sich täglich Briefe bis zur Hochzeit.

Landschacht 16.2.1869

Meine teure, vom Herrn geschenkte Braut!

Wie soll ich dem Herrn vergelten, was Er an mit tut! War mein erster innerlicher Ausruf, als ich Ihr vom 14.d.M. datierten, aber erst heute hier angelangten Brief mir die innigst ersehnte Freudenbotschaft brachte, dass sie Freudigkeit empfangen haben, meines und meines lieben Kindes Gattin und Mutter werden wollen. Ich vermag es wahrlich nicht auszusprechen, wie ihr Jawort mich demütigt und erhebt in einem. Als eine unverdiente Gottesgabe will ich Sie nun aber auch wert und lieb behalten, so lange ich einen Odemzug tun kann und wenn ich mich auch zu arm fühle, Ihnen einen auch nur annähernden Entgelt für das Opfer zu versprechen, welches Sie uns bringen, indem Sie Vater, Mutter und Geschwister verlassen: was ich geben kann, das sollen Sie alles haben; ein herz voller Liebe und Treue, einen Sinn, der wie um die eigene, so um der Seinen Seligkeit sorgt, und den Frieden Gottes in seinem ganzen Leben bewahren will. Der Herr segne uns nun und in Ewigkeit!

Wenn es mich auch unwiderstehlich drängt, Ihnen eine unverweilte Rückantwort zukommen zu lassen, so kann ich für heut und morgen doch kaum eine Viertelstunde mich von der Amtssorge frei machen. Muss deswegen für diesmal – leider gerade das erste Mal – mich kurz halten. Ich habe seit meiner Heimkehr im Spital Entsetzliches erlebt und gesehen und Gemütsbewegungen durchgemacht, wie sie selten so intensiv mich bewegten. Morgen werde ich einem Selbstmörder die Leichenpredigt zu halten haben, der im Leben als ein geförderter und erleuchteter Christ gegolten. Gedulden Sie sich also mit Ihrem Bräutigam von Anfang an.-

Erwarten Sie also längstens bis Samstag eine umfassende Antwort, und seien Sie gewiss, dass ich vorerst jede freie Minute dazu brauchen werde, Gott dem Herrn dafür zu danken, dass er Sie mir geschenkt hat.

Meine herzlichsten Grüße an Ihre Eltern, Geschwister und Großmutter, die nun auch mich in ihre Liebe einschließen, wie sie in die meinige eingeschlossen sind.

Das Glück wieder eine neue Liebe erlangt zu haben, das ich mir kaum erhoffen zu dürfen wagte, hat mich schon so warm werden lassen, dass ich gerne das „Sie“ wegwürfe, allein ich wünsche erst Ihre Erlaubnis dafür zu empfangen.

 In herzlichster Liebe und Hochachtung bleibe nun immerdar Ihr

Johann M. Leuthi, Pfr.

3 Monate später, wenige Wochen vor der Hochzeit schreibt Minna

St. Gallen, den 30. Mai 1869

Mein innig geliebter Bräutigam!

Also das letzt Maiblümchen erhältst Du heute und
dann,- dann folgen nur noch wenig Briefchen von St.Gallen
und wir stecken die Federn ein, denen wir zwar zu herzli-
chem Dank verpflichtet sind, weil sie die Vermittlerinnen
unsres Verkehrs waren. Heute bin ich wahrhaft froh, dass
ich die Hände und nicht die Beine brauche um zu Dir zu
können, ich müsste zuerst ausruhen, denn ich habe wieder
des lieben Vaters Abwesenheit benützt und eine volle Stun-
de (obschon sie mir kürzer als eine halbe war) fleissig
das Harmonium getreten, davon werde ich müder als von ei-
nem grossen Marsch. Ja wirst Du es gestatten, gern oder
ungern? dass ich fast nicht davon wegzujagen bin, nicht
wahr, Du gibst mir den Trost: mer wend denn luega? – Du
willst denn luega, ob ich nichts anderes darüber versäu-
me, ob ich Deine Röcke und Hosen und Mariggelis StrümpfIi
gleichwohl hübsch flicke, ob ich Dein Zimmerchen sauber
abstäube u.s.w., u.s.w? Es ist mir gar nicht bange, Du
bist ja nicht ein harter sondern ein lieber freundlicher
Mann, der mir gerade im heutigen Briefe die Aussicht er-
öffnet hat, mich nicht im Schneckenhäuschen einzusperren;
gegen diesen Titel muss ich mich aber wehren, sonst wären
ja wir die Schnecken und ich wenigstens möchte lieber ei-
ne Biene oder ein Spätzlein sein, das sich, wie Du ja wün-
schest, gerne zum Ausfliegen bewegen lässt. Jetzt habe
ich’s fest im Sinn nur dann gerne in’s Weite zu fliegen,
wenn es Dir gefällt aber könnte auch etwa der Fall eintre-
ten, dass Du meintest ich könnte, wenn ich meinte es sei
unmöglich? oder dass ich fände Du solltest Dich losmachen,
wenn Du die Bande zu fest findest? Ich suchte mir dann
vorzustellen, wie es mir eigentlich zu Mute wäre, wenn Du
wirklich recht taub wärest über mich und wie lange ich
warten müsste bis Du mir wieder gut würdest? Es wollte
mir aber noch mehr krabbeln, als bei Deinen Gespräch mit
Vater und Bruder über Ehescheidungen.

Als mein Schein anlangte gab es mir auf’s Neue nach-
zudenken wie wunderbar der liebe Gott uns zusamengeführt
und stimmte frisch an: Lobe den Herrn meine Seele! Du
denkst wohl, ich plage mich in diesen Wochen noch mit
allerlei Sorgen? Bis jetzt nicht, entweder ist es leich-
ter oder kindlicher Sinn, freilich wissen wir nicht, ob
unser Lebensweglein freundlich oder rauh, kurz oder lang
sein wird, da gäbe es wohl Sorgenstoffe, aber da fasse ich
den ganzen Pack zusammen in die einzige Bitte, dass wir ein-
ander möchten zum Segen sein und miteinander beim Herrn
bleiben in Freud und Leid, nicht wahr, das ist genug?

Du wirst mich auch recht fröhlich finden, ich bin noch
ganz daheim und doch schon ganz bei Dir, wie dies zu und
her geht ist mir selbst unbegreiflich.
Ist wohl heute Abend der liebe Arnold bei Dir. Wir
freuen uns, dass Du sein Nachbar bist, ohne Schwagerschaft
wäre er wohl nicht nach Scherzingen gekommen.
Nun muss ich für heute schliessen und frage Dich noch
leise in’s Ohr Du hast mir’s doch nicht übel genommen, dass
ich Dich ein wenig im Verdacht hatte, wegen dem Fuchsen-
tum? es war nicht so bös gemeint.-
Ruhe recht wohl aus von Deiner Arbeit und besuch im
Geiste Deine Staunerin an Fenster.
Diese Woche wird Dir etwas gemütlicher sein, da die
Maurerei überstanden ist; wir müssen diese Woche noch recht
fleissig sein, dann atmen wir leicht, weil wir dann fertig
sind mit meinen Sachen.
Grüsse und küsse mir die liebe Nussbaumerin. Herzli-
che Grüsse von den lieben Eltern, Grossmutter und Schwestern.
Mir behagen die schriftlichen Grüsse und Küsse nur
noch so halb, Du musst Dich aber doch noch mit solchen be-
gnügen für diesmal, aber so viel, als nur eine Herzgefange-
ne auftreiben kann werfe ich Dir zu, bis wieder reelle an
der Tagesordnung sind.

In innigster Liebe umarmt Dich Deine
Mina

Die Spiesse an der Langgasse konnte ich noch nicht betrach-
ten.

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